Heuschinde

Es ist noch gar nicht so lange her, da erzählte man sich am Abend in der guten Stube Geschichten, Märchen und Sagen. Bis in die 1950er-Jahre gab es in manchem entlegenen Bergdorf noch kein elektrisches Licht – und gerade in den Wintermonaten waren die dunklen Abende lang.

Also holte man sich die „große, weite Welt“ in Form von Erzählungen nach Hause. Oft waren es die Großeltern, die den Enkelkindern beim Schein der Kerze oder Petroleumlampe alte Sagen und Erzählungen weitergaben. Oft machten sich diese Geschichten im Familienkreis selbständig, sie wurden immer wieder ein kleines bisschen verändert und von Generation zu Generation weitergegeben. „Das ist sagenhaft“ ist noch heute ein beliebter Ausspruch.

Kuhnigunde, was ist eine Sage?

Eine Sage (von althochdeutsch saga, „Gesagtes“) ist eine ursprünglich mündlich überlieferte, kurze Erzählung. Sie erklärt rätselhafte Ereignisse oder örtliche Besonderheiten, für die man keine natürliche Erklärung fand. Die realen Ereignisse, Menschen oder Orte werden fantastisch ausgeschmückt. Personen, die etwas Böses getan haben, werden in der Sage oft für Ihre Taten bestraft. Im Gegensatz zu Götter- und Heldensagen befasst sich die Volkssage mit der Alltagswelt.

Bärbel Bentele im Gespräch.

Kuhnigunde, welche Sagengestalten gibt es im Allgäu?

Jede Region hat ihre eigenen Volkssagen, in denen verschiedenste Sagengestalten auftauchen. Dazu gehören Wetterhexen, Waldgeister, Wassermänner, Riesen, sprechende Irrlichter, Kobolde, Dämonen und Teufel. Aber auch Tiere, wie wilde Hunde und schwarze Katzen, im Allgäu natürlich auch geisternde Kühe und „Schumpen“. Ebenso geht es um Palastfräulein und alte Weible, geisternde Sennen, wilde Jäger und Holzer mit und ohne Kopf, Venedigermännle, Salige Fräulein und um das „Wilde Heer“, das Seelenheer, das hauptsächlich in den Raunächten erscheint.

Kuhnigunde, warum spielen ungewöhnliche Orte in Sagen oft eine wichtige Rolle?

Um ungewöhnliche Orte, wie Quellen, Seen, bestimmte Felsformationen ranken sich Sagen, die Erklärungen für das jeweilige Naturphänomen bereithalten. Beispielsweise gibt es einen Ort am Hauchenberg, den die Einheimischen „Palast“ nannten und nennen. Eine steil aufragende Nagelfluhwand vermittelt den Eindruck einer Palastfassade und so beginnt eine Sage mit den Worten: „In alter Zeit wird berichtet, dass sich an der Stelle eine Burg befand…“ und erzählt die Sage von der Palastfrau, die nach ihrem Tod einen Schatz bewachen musste und auf Erlösung wartete.

Als die Berggebiete noch nicht mit Straßen erschlossen waren, war der Heutransport von den abgelegenen Bergwiesen eine zeitaufwändige Tätigkeit. Deshalb lagerte man das Heu in Hütten ein und verschob den Abtransport auf die ruhigere Zeit – in die Wintermonate. Erst wenn Schnee gefallen war, brachte man das Bergheu mit Schlitten ins Tal.

Kuhnigunde, was sind Heuzüge?

Zum Transport wurde das Heu zu großen viereckigen Häufen aufgeschichtet und mit Seilen verschnürt. Spezielle, an den Seilen befestigte Holzkeile, die so genannten „Schnallen“ und „Spohlen“, erleichterten das Schnüren und Verknoten der Ballen. Die fertigen „Heuzüge“ wogen vier bis fünf Zentner und wurden in steilem Gelände auf dem Boden gezogen, in flacherem Gelände auf dem Hornerschlitten.

Sowohl das Schnüren als auch der Transport der „Heuzüge“ erforderte viel Geschick und Kraft. Auch an Mut durfte es nicht fehlen: Der Transport ins Tal verlief oft rasant und führte immer wieder zu Unfällen. Mit der Mechanisierung der Landwirtschaft und dem Bau von Forst- und Alpwegen ist diese traditionelle Art der Bewirtschaftung fast völlig verschwunden. Heute wird das Bergheu unmittelbar nach der Heuarbeit mit Schleppern und Ladewagen nach Hause geführt.